Selbstliebe – pfeiff auf den Stress
Vor ein paar Tagen erhielt ich eine Email mit den folgenden Zeilen: „…Was mich trotzig macht (du liest richtig (Smilie) ),ist dass Selbstliebe nur über die völlige Akzeptanz der Eltern geht, weil ich mich sonst auch selbst ablehne…das fällt mir echt schwer….“
Als ich das las, klingelte sofort mein persönliches spirituelles Bullshit Bingo.
Ja, natürlich, selbstverständlich ist es erstrebenswert und sehr wohltuend, wenn man zumindest im inneren Frieden mit seinen Eltern lebt. Keine Frage. Menschen, die den Segen hatten, in glücklichen, nährenden Beziehungen mit ihren Eltern aufzuwachsen, fällt diese Akzeptanz meist leicht.
Menschen, die jedoch sehr viel Destruktives durch ihre Eltern erfahren haben und deren innere Kinder noch unversorgt, ungetröstet und ungeborgen sind, stehen da in der Regel vor ganz anderen Herausforderungen.
Ihnen als Voraussetzung für gelingende Selbstliebe völlige Akzeptanz der Eltern abzuverlangen, ist für mich eine unbegreifliche Härte und alles andere als einfühlsam. Und es ist noch dazu ein Hohn, der den Menschen, der nach Selbstliebe sucht, am langen Arm erneuert verhungern lässt. Denn es wird ein nahezu unerfüllbarer Anspruch definiert und eine erneute Abhängigkeit geschaffen. Eine Abhängigkeit von diesem fatalen Glaubenssatz.
Den wahnsinnig hohen Anspruch erfüllen zu wollen, führt nur zu Überforderung und permanenter Konfrontation mit der eigenen vermeintlichen Unzulänglichkeit und schlimmstenfalls zu Selbstbestrafung und Selbstablehnung. Das lenkt vom eigentlichen Ziel ab.
Es macht für mich also keinen Sinn, dass meine Selbstliebe zu 100% von der Akzeptanz meiner Eltern abhängig sein soll.
Liebe, auch Selbstliebe, ist unabhängig und bedingungslos.
Ansonsten ist es keine Liebe.
Deshalb habe ich diese unempathische Forderung auch vom Tisch gewischt. Sie trägt genauso wenig Liebe in sich, wie die häufig missverstandene Sache mit der Eigenverantwortung.
Da ist auch keinem Menschen in seinem Heilprozess geholfen, wenn er gesagt bekommt: „Naja, da hattest Du einen Vertrag mit dem, der Dir Gewalt angetan hat.“ oder „Du bist selbst verantwortlich.“ Wenn ich davon ausgehe, dass sich ein betroffener Mensch nicht grob fahrlässig selbst gefährdet hat, kann das Karma sein, wie es will, – entschuldigt, bitte, dass ich jetzt vulgär werde – aber da haue ich ihm doch nicht noch eine rein und sage: selber schuld. Das kann ich keinem vergewaltigten Kind und keinem misshandelten Erwachsenen sagen, ohne mich seinem Schmerz eiskalt zu verschließen. Im Gegenteil, solche Sprüche rechtfertigten Gewalt. Deshalb sind sie für mich untragbar.
Sollte Dir noch mal jemand begegnen, der Dir solchen Unsinn erzählt, während in Dir drin Deine Wunden brennen, dann dreh Dich einfach um und geh. Es stimmt nicht. Es bringt Dir nur noch mehr Schmerz.
Tue das, was Du tun musst und tun kannst, um Deine Wunden zu tröstlich zu versorgen:
Die Vergangenheit kannst Du nicht ändern. Die musst Du leider akzeptieren, wenn Du Dich nicht noch weiter daran aufreiben willst.
Frage nicht: warum ich? Das bringt nichts.
Aber schau hin. Denn das ist wichtig, um zu erkennen, was passiert ist und um Deine verletzten Anteile aus dieser Situation heraus holen und Dich selbst freundlich versorgen zu können – das ist heilsam und das ist auch schon der Beginn von Selbstliebe. Und es ist voll und ganz eigenverantwortlich. Auch dann, wenn Du Dir dabei helfen lässt. Du musst nämlich viel weniger allein machen, als Du glaubst. Genau das ist auch mein Ansatz für die Arbeit mit dem Inneren Kind.
Gehen wir noch mal auf Anfang. Zum Thema
Selbstliebe. Wie kann die sich denn nun tatsächlich entwickeln?
Die Antwort erscheint Dir vielleicht zu einfach, aber aus meiner Sicht funktioniert es auf diese Weise am leichtesten:
Sei freundlich zu Dir selbst.
Wie?
In dem Du Dich selbst fragst, wie es Dir geht und was Du brauchst und auf die Antwort Deiner inneren Stimme und Deines Körpers lauscht. Das ist Selbstwahrnehmung.
Den Wünschen und Bedürfnissen aus der Antwort Raum zu geben, sie so gut und so freundlich es geht zu erfüllen, ist Selbstachtung.
Selbstachtung beginnt mit der Achtung Deiner Möglichkeiten und Grenzen.
Das ist etwas ganz anderes als davor zu resignieren.
Es kann sein, dass Du dafür auch lernen musst, das Bedürfnis eines anderen hinten an zu stellen, Nein zu sagen. Vielleicht wirst Du Dich dafür auf den Weg machen müssen, neue Erfahrungen zu sammeln, nämlich solche, dass es ungefährlich für Dich ist, auf Dein Bedürfnis zu achten, anderen Nein zu sagen.
Selbstliebe beginnt mit Selbstwahrnehmung, Selbstachtung und Freundlichkeit Dir selbst gegenüber.
Was kannst Du noch tun, um das zu üben?
Entwickle kleine Rituale, in denen Du freundlich zu Dir selbst bist.
Das können kleine Auszeiten sein, in denen Du Dir ganz bewusst einen guten Tee kochst. Ich verkaufe in meiner Praxis handverlesene Kräutertees aus Österreich, deshalb nehme ich die mal als Beispiel: Ich mach die Packung auf und schnuppere erst mal den Duft, der mir entgegen strömt und freu mich über den Anblick der Blätter und Blüten. Dann leg ich sie in einen Teebeutel schnupper meistens noch mal und gieße heißes Wasser auf und freu mich, dass ich ein paar Minuten später den ersten Schluck Tee genießen kann. Egal, ob ich einen aufmunternden oder entspannenden brauche, das Schnuppern am Tee und der Geschmack sind toll und ich mag das Hinspüren, wie sich das Gefühl in meinem Körper verändert, wie es sich ausbreitet. – Das sind wieder Selbstachtung meines Bedürfnisses nach etwas Wohltuendem und Selbstwahrnehmung, und beides bereitet mir Freude.
Es geht leicht. Genauso leicht, wie – wenn man es mag – sich ein heißes Bad zu machen oder sich einen Moment lang Zeit zu nehmen, den Himmel anzuschauen oder mal ganz genau einen Baum oder eine Pflanze, in deren Nähe man grad ist.
Oder nimm den morgendliches oder abendliches Gesichts-Waschritual. Normalerweise machst Du das wahrscheinlich im Autopiloten. Probiere doch mal aus, es ganz bewusst wahrzunehmen: Fang damit an zu beobachten, in welcher Reihenfolge Du nach Deinen Waschutensilien greifst, wie Du wartest, bis das Wasser in der richtigen Temperatur aus dem Hahn kommt. Und dann fühlst Du, wie das Wasser und Deine Hände Dein Gesicht berühren. Bleib dabei, bis du das bewusst wahrnehmen kannst.
Ich fall schnell in meine Automatismen zurück, komme aber leicht in diesen Beobachten-und Fühlen-Modus zurück, wenn ich mir im Stillen sage, was ich beobachte, was gerade passiert,
z.B. „Wasser berührt mein Gesicht. Es fühlt sich schön warm an.“ Und dann wäschst Du Dir mal ganz bewusst, ganz behutsam, so als würdest Du jemandem, den Du sehr gern hast, ( z.B. Dich selbst) das Gesicht waschen, abtrocknen und eincremen.
Lass Deine Hände mal einen Moment auf Deinem Gesicht „liegen“, spüre diese freundliche Berührung, genieß die Wärme, die von Deinen Händen in Dein Gesicht strömt. Fühle wie zart und wie ungewohnt das ist. Und wenn es Dir gefällt und Du noch einen Moment mehr Zeit für Dich hast, kannst Du ja versuchen, ganz achtsam Dein Gesicht zu massieren.
Du kannst es zu einem Ritual machen, Dich zu fragen: Was kann ich mir Gutes tun, um mir meinen Tag schöner zu machen? Was für eine Freude kann ich mir heute selbst bereiten?
Je kleiner und einfacher die Momente sind, je weniger Zeit, Aufwand und Geld sie kosten, umso besser.
Wenn Du morgens immer sauer auf Dich bist, weil Du schlecht aus den Federn kommst, frag Dich: Was kann ich für mich tun, damit ich leichter aus dem Bett komme? Was würde mir Freude bereiten?
Oder wenn Dich mal Zipperlein plagen, frage Dich: was würde mir jetzt gut tun? Sprich mit Deinem Körper, höre ihm zu. Tu mit Sanftmut, was er Dir sagt. Auch das gehört zur Selbstliebe.
Und sei bitte auch dann freundlich zu Dir, wenn Du mit hartnäckig festsitzenden Angewohnheiten zu tun hast, die Du lieber gestern als heute los wärest. Frage Dich: Was sind freundliche liebevolle Alternativen zu dem destruktiven Verhalten? Es gilt wieder: je einfacher, desto besser. Einige Anregungen findest Du in meiner Artikelserie: Tipps für den Weg zum Wohlgefühl. Verurteile Dich nicht, wenn Du wieder in Dein altes Muster gefallen bist, freue Dich darüber, dass Du es bemerkst und richte Dich freundlich wieder neu auf deine liebevolle Alternative aus.
Achte bei allem, was Du tust, darauf, dass Du Dich nicht überforderst.
Werde in diesem Prozess Deine beste Freundin, Dein bester Freund.
Und lass Dir Zeit. Zeit Dich anzuschauen, Zeit, die Antwort Deiner inneren Stimme, Deines Körpers anzuhören, verstehen zu lernen. Nimm Dir Zeit, immer wieder Innezuhalten und freundlich in Dich zu spüren. Immer wieder nur für einen kleinen Moment, der Dir auf diese Weise zu einem kostbaren Geschenk wird.
Was mir gerade noch einfällt sind die Affirmationen von Louise L. Hay. Ich mag sie, bin aber nicht der Super-Affirmations-Fan, weil ich gemerkt habe, dass sie nur dann hilfreich sind, wenn sie genau den nächsten kleinen Schritt umfassen, den ich grad gehen kann.
Wenn Du gerade erst in den zarten Anfängen bist, Dich selbst zu lieben, dann erschrecke Dich bitte nicht jeden Tag selbst, in dem Du Dich vor den Spiegel stellst und „Ich liebe Dich“ zu Dir sagst. Es gibt eine Instanz in Dir, die richtig los tobt, wenn sie merkt, dass das nicht stimmt. Also lüg Dich bitte auch nicht per Affirmation an. Was Du aber gut machen kannst, ist Dich vor den Spiegel zu stellen und zu schauen, was Du an Dir magst. Und wenn das am Anfang nur Deine Augenfarbe, Dein kleiner Finger oder die schöne Haut an Deinem Unterarm ist. Und das kannst Du Dir in den Spiegel sagen und beobachten, wie es sich anfühlt. Du kannst diese Stellen Deines auch freundlich berühren und dabei aufmerksam hin fühlen, wie leise Freude aufsteigt, dass es da etwas an Dir gibt, was Du magst.
Werde in diesem Prozess Deine beste Freundin, Dein bester Freund.
Ich hoffe, das hilft Dir ein ganzes Stück weiter. Wenn Du das Bedürfnis hast, Dich in diesem Entwicklungsprozess begleiten zu lassen, kannst Du mich gern für ein Coaching buchen, in dem ich Dich gern unterstütze, um mit Dir die Themen zu klären, die Dich noch davon abhalten, in einer guten Beziehung mit Dir selbst zu leben.
Liebe Grüße, Anne